23. Januar 2018

Countdown für die Einheitsbewertung und die Grundsteuer

Neue Hauptfeststellung würde Finanzämter vor Riesenprobleme stellen

Die mündliche Verhandlung vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts am 16. Januar hat es deutlich gezeigt: Die Einheitswerte als Grundlage für die Grundsteuer sind völlig veraltet, eine Reform ist überfällig und für die Grundsteuer läuft ein Countdown, der zu ihrem völligen Aus führen könnte. In einer ersten Bewertung nach der mündlichen Verhandlung äußerte DSTG-Bundesvorsitzender Thomas Eigenthaler: „Wenn sich Bund, Länder und Kommunen nicht am Riemen reißen, drohen das Aus der Grundsteuer und damit auch ein Verfassungskonflikt.“ Im Hinblick auf eine drohende neue Hauptfeststellung für über 35 Millionen Grundstückseinheiten warnte der DSTG-Vorsitzende vor einem Chaos in den Bewertungsstellen, weil diese personell für eine solche Aktion nicht gerüstet seien. Eigenthaler wörtlich: „Nur mit einer langen Vorlaufzeit und mit dem raschen Bereitstellen von IT-Unterstützung hat die Grundsteuer in derzeitiger Form eine Überlebenschance.“

Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe waren zwei Verfassungsbeschwerden von Grundsteuerzahlern, aber auch drei sogenannte „Richtervorlagen“ des Bundesfinanzhofs („konkrete Normenkontrollverfahren“). Alle Verfahren haben inhaltlich dieselbe Stoßrichtung: Veraltete Einheitswerte zu Stichtagen 1.1.1964 (alte Bundesländer) sowie 1.1.1935 (neue Bundesländer) führen zu erheblichen Wertverzerrungen sowie zur Nichtberücksichtigung explosionsartiger Wertsteigerungen in den letzten 50 bzw. 80 Jahren. Damit steht derzeit die verfassungsrechtliche Frage „Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG“, aber auch die vom Verfassungsgericht vor rund 20 Jahren geprägte Rechtsfigur „strukturelles Vollzugsdefizit“ im Raum, da Hauptfeststellungen von Einheitswerten nach der ursprünglichen Intention des BewG alle sechs Jahre (!) stattzufinden hätten. Passiert ist jedoch seit Jahrzehnten nichts.

Angesichts der äußerst kritischen Nachfragen der acht Verfassungsrichterinnen und -richter des Ersten Senates unter Vorsitz des Vizepräsidenten Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof war klar, dass diese Werte wohl künftig keinen Bestand haben werden. Gerechtfertigt wurden diese lediglich von den Vertretern des BMF, jedoch nach Einschätzung interner und externer Beobachter aber wohl eher aus taktischen Gründen.

Hinsichtlich der Umsetzungsfolgen im Falle einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit bot sich in Karlsruhe ein erhebliches Spannungsfeld. Während die Richter jahrelange Vorlaufzeiten – die Rede war von bis zu 10 Jahren – als rechtlich hochproblematisch ansahen und deshalb immer wieder nachhakten, plädierte die DSTG für einen solchen zeitlichen Vorlauf, da anders eine neue Hauptfeststellung nicht zu bewerkstelligen sei. Die DSTG ist über § 27 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz am Verfahren beteiligt, weil das Gericht der DSTG als sogenanntem „sachkundigen Dritten“ Gelegenheit zur schriftlichen und mündlichen Stellungnahme gab. In einem mündlichen Plädoyer stellte DSTG-Bundesvorsitzender Eigenthaler heraus, dass in einer Addition von gesetzgeberischem Handeln, einer Implementierung von IT-Unterstützung, einer notwendigen Vernetzung von Datenbanken, dem Aufbau des Personalbestandes im Bereich Bewertung, durch notwendige Schulungen, der rechtlich zwingenden Kommunikation mit den Eigentümern (Feststellungserklärungen?) und der Durchführung der eigentlichen Bewertungsverfahren man auf rund 10 Jahre Vorlaufzeit käme. Eigenthaler gab ferner vor dem Richtertisch zu bedenken: „Je spitzer wir rechnen müssen, desto länger dauere es.“

Allen Prozessbeteiligten war nach rund vierstündiger Verhandlung klar: wenn das Gericht nur kurze „Erledigungsfristen“ zulasse, weil es einen möglichen verfassungswidrigen Zustand nicht mehr über Gebühr lange tolerieren wolle, drohte das Aus des Bewertungsgesetzes und damit des Grundsteuergesetzes. Damit würden Gemeinden, die auf ihr Selbstverwaltungsrecht und ihr „Hebesatzrecht“ aus Artikel 28 GG pochen können, vor massive Probleme gestellt werden, weil ihnen eine wesentliche Finanzgrundlage fehlte. Dabei wäre völlig unklar, wer den Gemeinden den Schaden von rund 14 Mrd. Euro Grundsteueraufkommen ausgleichen würde. Im steuerlichen Spannungsverhältnis Bund – Länder – Kommunen drohte dann ein Konflikt mit verfassungsrechtlichem Ausmaß. Richtig ist aber auch, dass manche, denen die Grundsteuer ohnehin ein Dorn im Auge ist, eine solche Entwicklung durchaus begrüßen würden. Ein Aus wegen des Wegfalls der Bundesregelungen gäbe überdies den Befürwortern von föderalen und spezifischen Länderlösungen (Beispiel: Bayern erhebt eine bayerische Grundsteuer) neuen Auftrieb.

In Karlsruhe wurde deutlich: Auf den Gesetzgeber, die Finanzämter, aber auch auf die Kommunen kommen harte Zeiten zu. Daher wurde vom Gericht auch nach „Visionen“ hinsichtlich einer Neuregelung gefragt. Diese könnten nach Auffassung der DSTG in Pauschalierungen, Indexierungen (so ein Vorschlag in unserer schriftlichen Stellungnahme), aber auch in einer Fokussierung auf den reinen Bodenwert liegen. Wichtig ist und bleibt dabei für die Deutsche Steuer-Gewerkschaft: Eine Reform darf weder auf dem Rücken der Finanzämter und der dortigen Bewertungsstellen ausgetragen werden, noch darf eine Grundsteuerreform zu einer weiteren Belastung von Mieterinnen und Mietern führen. Denn die Grundsteuer ist nicht nur eine Eigentümersteuer, denn sie wird über die Nebenkostenrechnung einmal im Jahr auch jedem Mieter in Rechnung gestellt. Deshalb: Reformen sind sicher notwendig, aber bitte mit Augenmaß, Sinn für Machbarkeit und mit einem klaren Veto gegen eine Mehrbelastung für selbstgenutztes Wohneigentum bzw. gegen eine weitere Erhöhung der Nebenkosten. (TE)