„Mehr Fortschritt wagen“ heißt es im Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2025, der am 7. Dezember 2021 zwischen SPD, Grünen und FDP unterzeichnet wurde. Die DSTG-Bundesfrauenvertretung hat das umfangreiche Papier studiert und kommentiert es nun aus ihrem Blickwinkel.
Im Koalitionsvertrag heißt es, besonders die Arbeitswelt solle moderner werden. Dazu gehört eine digitale und konsequent bürgerorientierte Verwaltung. Nimmt man die Er-fahrungen aus der Pandemie, in der von heute auf morgen zahlreiche Bedienstete ins Homeoffice geschickt wurden – der größte Teil von ihnen zuerst ohne die notwendige IT-Ausstattung –, kann man sich die Vorstellung des Fortschritts in die Digitalisierung gar nicht so recht vorstellen.
Immerhin fast zwei Jahre später sind wir in der Finanzverwaltung so weit, dass die Kolleginnen und Kollegen größtenteils mit entsprechender Hardware ausgestattet sind und die Präsenzsitzungen auf zahlreiche digitale Sitzungen und Schulungen umgestellt wurden. Für viele spart das den Weg ins Büro und die damit verbundene Zeit – ein großer Vorteil für die Frauen in der Finanzverwaltung. Denn schließlich müssen viele von ihnen den Spagat zwischen Arbeit und Sorgearbeit allein schaffen.
Aber wie sieht es mit den persönlichen Kontakten und dem Zwischenmenschlichen aus? Beides kommt im Homeoffice zu kurz.
Bei den Vorstellungen zur Digitalisierung schwingt oft auch der Gedanke nach dem Abbau von Büroräumen mit – die Verlagerung des Arbeitsplatzes in die häusliche Umgebung. Jedoch sollte hier auch beachtet werden, dass nicht alle Beschäftigten in großen Häusern wohnen – wie oft in den ländlichen Regionen –, sondern in Wohnungen, die nur über den zum Wohnen benötigten Platz verfügen. Nicht selten ist ein separater Arbeitsraum nicht gegeben. So haben in diesen Situationen viele Beschäftigte keine Chance, sich einen Arbeitsplatz daheim einzurichten. Andere, die diese Möglichkeit haben, wollen es vielleicht nicht. Die Verwaltung sollte hier ihre starren Vorgaben der Voraussetzungen für Homeoffice etwas zurückschrauben. Die Bediensteten sehnen sich eher nach einer Lockerung der Vorgaben. Schließlich wird die Verwaltung moderner und digitaler. Das heißt doch auch, dass die Verwaltung papierloser werden müsste! Antragslose und automatisierte Verfahren sollen gesetzlich verankert werden.
Aber ist die Verwaltung darauf vorbereitet? Schließlich ist die E-Akte noch nicht überall eingeführt, und der papierlose Austausch innerhalb der Behörden ist auch noch nicht vollzogen. Und auch für zahlreiche Anträge werden die Bürgerinnen und Bürger noch ins Amt bestellt – nicht zuletzt durch die großzügigen Öffnungszeiten. Es ist schwer zu glauben, dass sich die Digitalisierung tatsächlich so fortschrittlich zeigen wird.
Laut dem Koalitionsvertragsollen nun die Leitungen der Ministerien und die Führungskräfte im öffentlichen Dienst eine moderne Führungs- und Verwaltungskultur vorantreiben und für digitale Lösungen sorgen. Aber wird das den Führungskräften in die Wiege gelegt? Viele von ihnen werden hier ihre Lebens- und Berufserfahrung einbringen. Den anderen wird bestimmt eine Unterstützung des Arbeitgebers sicherlich in Form von Fortbildungen hilfreich erscheinen. Wünschenswert wäre dies natürlich bereits vor der Ausführung der neuen Führungsaufgaben. Bleibt hierfür genug Zeit?
Es heißt im Koalitionsvertrag aber auch, die Eigeninitiative und der Mut der Beschäftigten müssen wertgeschätzt und belohnt werden. Ist das ein Versprechen für die nächste Tarifverhandlung?
Ein Herzensthema der DSTG-Bundesfrauenvertretung ist die Abschaffung der Steuerklasse III/V. Diese soll nun in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV überführt werden. So sollen die partnerschaftliche Verantwortung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden. Das ist ein echter Fortschritt, wenn er denn wie geplant umgesetzt wird!
Was sagt der Koalitionsvertrag zu dem Fortschritt der Gleichstellung? Auch wenn einige Menschen der Meinung sind, dass die Gleichstellung inzwischen schon vollzogen wäre, weil viele Väter die Elternzeit in Anspruch nehmen oder Frauen in zahlreichen Unternehmen an der Spitze die Geschäfte führen, ist da noch Luft nach oben. Die Parteien versprechen die Erreichung der Gleichstellung von Frauen und Männern in diesem Jahrzehnt. So soll die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie des Bundes weiterentwickelt werden, unter anderem mit einem Gleichstellungscheck künftiger Gesetze und Maßnahmen.
Werfen wir einen Blick auf die Zusammensetzung des Bundestages: Noch nie gab es ein Parlament in Deutschland, dass auch nur annähernd paritätisch mit Frauen und Männern besetzt war: Der Anteil der Frauen im 20. Bundestag ist zwar um drei Prozentpunkte auf 34,7 Prozent gestiegen, bleibt aber hinter dem bisherigen Höchststand von 37,1 Prozent von 2013 zurück. Und auch in den Parteien gibt es weiterhin deutlich mehr männliche als weibliche Mitglieder.
Ist Gleichberechtigung in der Politik doch nur mit verbindlichen gesetzlichen Regelungen – wie einem Paritätsgesetz – machbar? Der Frauenanteil im Bundeskabinett ist so hoch wie nie zuvor zum Beginn einer Wahlperiode. Unter den 17 Kabinettsmitgliedern sind neun Männer und acht Frauen. Auf die Parität kommt Bundeskanzler Olaf Scholz aber nur, wenn er sich als Bundeskanzler nicht mitzählt. Dennoch sieht die DSTG-Bundesfrauenvertretung die neue Bundesregierung hier auf einem guten Weg.